Sonntag, 15. Juni 2014

Am griechischen Wasser. Noch immer regieren die Götter


Eine Woche später. Vor mir leuchtet und glitzert das Wasser blau. Tief blau. Seine Fläche erstreckt sich bis zum Horizont. Und darüber hinaus. Umrahmt wird das Bild von einer Landzunge und einer Insel in der Ferne. Der Himmel neigt sich tief, die Linie ist klar, dünn, sanft und doch scharf. Hier beginnen Unendlichkeiten einander zu berühren. Der morgendliche Wind ist angenehm und streicht warm an den Grenzen meines Körpers entlang. Die Sonnenstrahlen erobern jeden Winkel, an diesem Ort der Welt werden die Schattenplätze des Lebens freiwillig aufgesucht.

Jetzt, am Morgen, sind es die Sonnenstrahlen, die das Wasser an den kleinen Bruchstellen silbern glänzen lassen. Glitzernd wie die Sterne der Nacht, die vom Meeresboden zurückkommen, denn das Ende der Dunkelheit wirft sie in den frühen Morgenstunden jeden Tag aufs Neue in die Tiefe der wässrigen Unendlichkeit. Von dort treiben sie nach oben an die Wasseroberfläche und warteten, bis ihre Zeit am Himmel erneut beginnt und sie sich wieder ans Firmament wagen. 

Dort, wo Land und Wasser aneinander stoßen, übernimmt der Himmel die Regie. Die Faszination dieses Schnittpunkts lockt die Menschen an. Noch herrscht Ruhe, obwohl aus der Ferne griechische Folkloreklänge zu hören sind. Die ersten Badegäste breiten ihre Habseligkeiten aus und vertrauen sich den Elementen an. Meine Gedanken schweifen in die Ferne, sie verlassen die Küste und lassen sich von der Weite mitnehmen. Zeit und Raum werden eins, aufgenommen in der Unendlichkeit zwischen der großen Vergangenheit und der sich nähernden Zukunft.

Ich denke an den großen Manu, wie er einst aus der Ferne zwischen Himmel und Wasser auftauchte. Sein Schiff, beladen mit Wissen und Geschichte. Sein Ziel die menschliche Küste, offene Herzen. Nachts folgte er den Sternen die ihm die Richtung wiesen, tags lauschte er den goldenen Spuren am Grund des tiefen Wassers. Intuition, Inspiration und Imagination verbinden sich miteinander und werden zu inneren, begehbaren Inseln auf dem seelischen Schlachtfeld des aufrüttelnden Lebens.

Manu braucht Weite, Licht und Luft, denn sein Kriseneinsatz findet an den dunklen Stellen des menschlichen Lebens statt, dort, wo Ecken und Kanten scharf sein können, wo der Frieden zum Krieg wird, weil die Menschen Angst voreinander haben und einander blind verletzen. Plötzlich durchkreuzt ein kleines weißes Schiff das blaue Bild aus der Ferne. Es fährt von rechts nach links, Raum und Zeit haben mich im Schnittpunkt des Jetzt wieder, die Sonne brennt noch immer unerbittlich vom Himmel herab.

Am nächsten Morgen bringt die Kellnerin in gebrochenem Englisch Kaffee und Wasser. Die Welt ist heute eine andere. Nach dem großen Unwetter, es hat über Stunden geblitzt, gedonnert und unendliche Mengen an Regen vom Himmel geschüttet, ist klar, dass noch immer die Götter die Geschicke lenken. Der silberne Glanz ist verschwunden – keine Sterne, keine blitzenden Flecken auf dem Wasser, keine Oliven- und Silberpappelblätter, die dem Himmel entgegen glitzern und blinken – die Welt ist erschüttert und still.

Das große Wasser gähnt ruhig und glatt wie ein Spiegel vor mir, der Horizont grenzt sich klar und scharf wie die Klinge eines Messers davon ab. Der Himmel lehnt sich noch immer herab, schwer und bedrohlich – die Götter beruhigen sich nur langsam, noch hat die Sonne ihre Position nicht wiedererlangt. Die Menschen sind in sich gekehrt heute und zur Versöhnung bereit. Die griechische Küste lädt mit dem großen Wasser dazu ein, die Götter zu ehren und sich zu verneigen, damit Manu landen kann, um das Festland des Lebens endlich zu betreten.

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